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Ist Mette-Henriette Martedatter Rolvag die Entdeckung der Saison? Die norwegische Saxophonistin bewegt sich mit ihren Formationen an den Rändern der Stille. Ihre Musik mäandert tröstend durch den Raum, skizziert Töne, die das Notwendigste preis geben. Den Rest überlässt sie dem Äther - und der Fantasie. Die Welt ist Klang und Klang ist Musik.
Zwei Formationen hat sie für ihr ECM Debüt zusammengestellt, mit Musikern, die im zeitgenössischen Jazz zu Hause sind und mit Musikern, die aus der Klassik kommen. Ohne sich an stilistischen Diskussionen festzubeißen finden die beiden Lager zu einer Atem nehmenden Symbiose. Dabei scheint die erste CD der Schwerkraft abgetrotzt. Eingespielt im Trio mit Johann Lindvall (Klavier), Katrine Schlott (Cello) und Mette Henriette loten die Kompositionen im weitesten Sinn Lyrizismen aus. Doch trotz sparsamstem Einsatz der Instrumente ist auf der zweiten Ebene eine Intensität zu spüren, die zwischen Melancholie und Lamenti wechselt. Hier werden Töne zu Farben, zu berührenden Schattierungen. Werden zu einer Hommage an den Zauber der Verschwiegenheit. Die Geradlinigkeit, mit der die Saxophonistin diesen Minimalismus realisiert, bewegt und provoziert gleichermaßen.
Die zweite CD ist in größerer Besetzung eingespielt, mit Bläsersatz, Streichquartett und Rhythmusgruppe. Hier ist das energetische Potential weitaus stärker zu spüren. Mettes Ton ist pure, tiefgreifende Leidenschaft. Sie bringt in ihrem Spiel die Tatkraft und Spiritualität eines Albert Ayler zum Ausdruck und verbindet diese mit der kantigen Poesie eines Steve Lacy. Dieser Teil wirkt freier, zugleich auch widerspenstiger. Die kurzen Anspielungen sind vielseitiger und assoziativer, sie leben von einer Dynamik, deren Zartheit ebenso gefangen nimmt, wie ihre Intensität aufwühlt. Diese erregenden Wechsel stärken das Urteil: Ja, Mette-Henriette Martedatter Rolvag ist die Entdeckung der Saison!
— Jörg Konrad